Ausgerechnet ein Kinderspiel kommt mir in den Sinn, während ich für diesen Blogartikel etwas angewidert auf dem Wörtchen „Scham“ rumkaue.
Meine Kindheit ist schon eine Weile her, schon allein dadurch erkennbar, dass sie offline stattfand. Und nicht nur das, wir waren den ganzen Tag draußen. Abenteuer pur, Baumhäuser und aufgeschürfte Knie inklusive.
Schlecht laufen konnte ich schon immer gut
Neben Gummitwist verbrachten wir die Zeit auch mit Outdoor-Gesellschaftsspielen wie „wenn der Kaiser übers Land kommt…“. Das ist so eine Art Fangen mit Ansage. „Der Kaiser“ hat (wie eben so üblich) das Sagen und bestimmt, welche Farben er beim Überqueren seines „imaginären Landes“ sehen möchte oder nicht. Dementsprechend sind Träger von bestimmten Farben zum Fangen freigegeben.
Wahrscheinlich fällt es mir gerade deshalb ein, weil ich mich sofort daran erinnere, dass schnell laufen noch nie zu meinen Spezialitäten gehörte (es sei denn, ich laufe vor etwas weg, doch das ergäbe Stoff für einen separaten Blogartikel). Natürlich schämte ich mich, wenn ich als eine der ersten gefangen wurde.
… dafür bin ich gut in schlechtem Englisch
Und da wir gerade dabei sind schiebt sich gleich das nächste Beispiel in mein Bewusstsein. Im letzten Jahr war ich in einer wunderschönen CoWorking-Location in Andalusien mit sehr interessanten und inspirierenden Menschen. Was ich erst nach der Anmeldung mitbekam: die gesamte Veranstaltung fand in englischer Sprache statt.
Ich und meine Sprachbegabung dachte ich mir und war kurz davor die Reise abzusagen. Kneifen ist jedoch mein Ding nicht. Augen (oder viel mehr Mund) zu und durch, war eher Beruhigung als Motivation. Ich wünschte, ich könnte behaupten, der Knoten hätte sich gelöst… An meinem Glaubenssatz „Fremdsprachen sind nicht mein Ding“ darf ich wohl noch etwas knabbern
Scham und die rote Birne
Als wäre man damit nicht schon mehr als genug gestraft, gibt’s noch was oben drauf, auf die Birne. Damit es auch wirklich jeder schnallt, nimmt das Antlitz die Farbe einer Leuchtrakete an. Spätestens jetzt ist klar, warum mir bei Hr. Kaiser ganz spontan die Farbe rot einfiel.
Wie so oft zückt das Leben immer dann die rote Karte, wenn wir es partout nicht brauchen können. Beispielsweise an der Supermarktkasse, wenn man merkt: Geldbörse ist in der anderen Tasche oder wenn man bei der Fahrkartenkontrolle feststellt, dass man das Ticket zwar gelöst hat, aber nicht abgestempelt.
Warum nur tut sich die verdammte Erde nie auf, wenn man mal schnell verschwinden möchte? Der Sympathikus macht aus unserem Schädel eine Rundumleuchte. Kleiner Verbesserungsvorschlag: das Blut in die Beine pumpen, dann klappt das mit dem Weglaufen auch viel besser.
Wozu Scham gut ist
Wozu das alles? Weil uns alten Herdentieren die Scham dazu anhalten soll, geltende Normen einzuhalten und somit unser Überleben zu sichern. Für uns selbst wirkt Scham wie eine Alarmglocke, unsere Umwelt beschwichtigt sie. Schließlich ist für alle erkennbar, dass wir die Schande kapiert haben und keiner weiteren Strafe bedürfen. Auf diese Schmach hat unsere Spezies übrigens die Exklusivrechte.
Etwas Gutes hat das Ganze allerdings, in einer Studie in Berkeley fanden Wissenschaftler heraus, dass Menschen, die leicht in Verlegenheit geraten, als vertrauenswürdiger, sympathischer und großzügiger wahrgenommen werden, verglichen mit eher „ungerührten“ Menschen. Also diejenigen beweisen soziale Kompetenz, die für sich selbst oder für andere Scham empfinden.
Makel verbinden uns
Und da ist es wieder: wer sich verletzlich zeigt, der menschelt. Das „Aufmachen“ dieser Tür ist der entscheidende Schritt, um den anderen einzuladen, sich auch verletzlich zeigen zu dürfen. Dann ist es unser scheinbar gemeinsamer „Makel“, der uns verbindet.
Vielleicht ist das sogar eine Art heiliger Moment: Wenn wir uns von allem abgeschnitten fühlen, machen wir auf und durch dieses Öffnen können wir uns wieder verbinden.
Verletzlichkeit ist das große Wagnis des Lebens. Es ist das Leben, das fragt: Bist du ganz bei der Sache? (Brene Brown)
Das Ding ist, andere haben ihre Verletzlichkeiten und wir die unseren. Wenn sich andere verletzlich zeigen, geht uns das meist sehr nahe, wir wissen ihre Offenheit sehr zu schätzen. Es zeugt von Vertrauen, sich so zu zeigen. Wir finden das ist mutig. Warum also sehen wir die eigene Verletzlichkeit als Schwäche, die der anderen als Größe?
Scham ist nur was für andere
Wir finden es gut, sind gar erleichtert, die ungeschminkte Wahrheit und Offenheit im Anderen sehen zu können. Doch gleichzeitig fürchten wir uns davor, sie anderen zu zeigen. Die Angst unzulänglich zu sein, nicht gut genug zu sein hält uns davon ab.
Brene Brown fasst es so zusammen „Ich hatte Hemmungen auf die Bühne zu treten und dem Publikum mein Alltagsselbst zu zeigen – diese Leute waren viel zu wichtig, erfolgreich und berühmt. Und mein Alltags-Ich ist viel zu chaotisch, zu unvollkommen, zu unvorhersehbar. Das ist die Krux, unter der wir uns abringen:
Ich will die Verletzlichkeit anderer erleben, aber ich selbst will nicht verletzlich sein
Bei anderen halte ich Verletzlichkeit für Mut, bei mir selbst für Unzulänglichkeit.
Ich bin von der Verletzlichkeit anderer angezogen, von meiner eigenen abgestoßen.“
Wir können uns nicht gegen Scham entscheiden.
Wir können sie zwar vermeiden, dann allerdings dümpeln wir lediglich in den lauen Randzonen unseres Lebens rum. Und ganz nebenbei hat sich inzwischen herausgestellt, dass all das, was wir auf unsere persönliche Giftmülldeponie verbannen, sich uns eines Tages wieder in den Weg schiebt. Einer Lawine gleich, hat sich das Problem höher aufgetürmt als je zuvor.
Also warum nicht damit offen umgehen und akzeptieren, dass auch das zu uns gehört? Begeben wir uns immer wieder mutig in die Arena und stretchen unsere Komfortzone. Schluss mit dem Hadern, wenn es mal nicht so klappt, wie wir es uns vorgestellt haben. Feiern wir uns einfach dafür, dass wir es versucht haben.
Und wenn Fräulein Scham mal wieder die Birne zum Glühen bringt, nicht vergessen: so unangenehm Scham für uns selbst auch ist, andere finden’s sympathisch.
Alles Liebe
schlauchalarm ist wie eine Tür…
wir können durchgehen oder davor stehen bleiben. Unbekannte Welten warten auf uns auf der anderen Seite. Was uns immer wieder zurückhält ist Angst. Die Angst zu scheitern, nicht gut genug zu sein oder einfach nur die Angst vor der Angst. Ich möchte dich inspirieren, mal ein paar andere Türen zu öffnen und zu hören, was mich und andere davon abhält, unser bestes Ich zu werden. Wieso stehen wir so oft auf dem Schlauch?
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