Das Chaos, jeder kennt es, keiner will es. Es bricht über uns hinein wie eine Naturgewalt, ohne jegliche Vorwarnung. Ein anderes Mal schleicht es sich an wie langsam steigendes Gezeitenwasser. Man könnte es kommen sehen, wenn man denn hinschaute und plötzlich ist der Boden unter den Füßen weg.
Momente, in denen das Leben ausholt, um uns eine vor den Bug zu knallen. Es ruft nach uns, weil es an der Zeit ist, Bewegung in die gleichnamige Angelegenheit zu bringen. Eine freundlich gemeinte Aufforderung aus einer neuen Perspektive über unseren bisherigen Kurs nachzudenken. Das Universum klopft an unsere Türe, um zu sehen, ob noch jemand zu Hause ist. Die Komfortzonencouch geht in Rauch auf. Herunterrieseln Lebenspuzzleteilchen, die uns, ordentlich durchgepustet und durch die Luft gewirbelt, genau vor unsere Füße fallen.
Wer holt dich aus dem Chaos wieder raus?
Und wer soll den ganzen Scheiß aufräumen? Mutti etwa 😉 Erinnere dich: Was von deinem Kram hast du noch gefunden, nachdem sie durchgefegt hatte? Eben! Besser du kümmerst dich selbst drum. Ersetz Mutti durch Partner, Chef, Familie, Nachbar, Staat, wen auch immer du in deinem Leben als deinen persönlichen Tatortreiniger auserkoren hast. Kannst du echt vergessen, die machen das eh nicht richtig. Glaub mir, ich hab’s probiert. Da muss der Chef ran: Du!
Wachstum passiert nicht auf der Couch
Da das Chaos nun schon einmal da ist und dir vor die Füße gekippt wurde, kannst du gleich durchgucken und aussortieren, was weg kann. Die meisten Dinge, die wir heute tun, machen wir, weil wir sie gestern schon taten. Aus Gewohnheit. Grundsätzlich ist das nichts Schlechtes, doch eben immer das Gleiche. Und immer das Gleiche heißt Autopilot. Wir entscheiden uns nicht bewusst für etwas, sondern lassen einfach mal laufen. So läuft’s dann eben Tag ein Tag aus und ganz plötzlich – so wie jedes Jahr Weihnachten vor der Tür – steht das Wasser Unterkante Oberlippe.
Wenn wir nun also aus unserem Trott „rausgeholt“ werden, dann weil das Leben meint, wir wären bereit für den nächsten Schritt. Die Ernennung zum Komfortzonencrasher. Nett gemeint, fühlt sich trotzdem blöd an. Ungefähr so wie Muttis nasses Taschentuch auf der Backe, die damit die Spuren vom Schokoeis wegrubbelt.
Perfekter Plan vs. geplantes Chaos
Mach einen Plan, das Universum lacht sich eins und macht durch deine schöne Rechnung einen Strich. Was unter selbigem übrig bleibt? Wir bekommen geliefert, das wir so nicht bestellt hatten. „Liebes Universum, nochmal zum Mitschreiben: mein Konto fett, ich schlank.“ oder so ähnlich. Das was ist, kollidiert mit dem, was wir haben wollten. Da passende Übung aus dem Improtheater: Sag immer JA zu dem, was gerade da ist. Genau den Ball spielen, den dein Mitspieler dir im Improtheater zuwirft. Klar hättest du dich für einen anderen entschieden. Ob er besser gewesen wäre? Keine Ahnung, du hast jetzt genau diesen. Blende das Warum aus, frage nach dem Wie und dann fang an zu Jonglieren.
Wer nicht vom Weg abkommt, bleibt auf der Strecke
Wer direkt auf sein Ziel zuläuft, kommt zweifelsohne am schnellsten an, verpasst dabei aber auch ein paar Blumen am Wegesrand. Ich komme zugegebenermaßen gern vom Weg ab. Ich bin eine Blumen pflückende Verzettelungskünstlerin. Das Positive daran, Umwege erhöhen die Ortskenntnis (ich kenne die schönsten Wiesen). Der Nachteil: ich verspäte mich öfter mal.
Die Kunst ist wohl, ein Ziel im Visier zu haben, ohne an einer bestimmten Route dahin zu kleben. Oft gibt es mehrere Möglichkeiten, die nicht unbedingt alle von Anfang an sichtbar sind. Der Weg ergibt sich ja bekanntlich beim Gehen. Mit offenen Augen und ebensolchem Herzen das unterwegs sein genießen und der Freude folgen. Im Vordergrund steht die Reise an sich. Wie bei einem Kind, das ein Turm aus Bauklötzen baut. Ist der Turm fertig, wird er eingerissen. Ganz klar – jedenfalls für ein Kind – weil es eben Spaß am Tun hat, wobei wir Erwachsenen eher auf das Resultat schielen.
das Chaos im Vergleich
Es heißt immer wieder, orientiere dich an denen, die schon dort sind, wo du hinwillst und mach es ihnen nach. Schön und gut bis zu einem gewissen Punkt, jedoch warten einige Stolperfallen:
- Du hast nicht genau den gleichen Weg, sondern nur eine ähnliche Richtung.
- Der andere ist dir eine gewisse Zeit voraus, sonst könntest du dich nicht an ihm orientieren (blöder Weise vergessen wir das gerade am Anfang oft, wenn wir denken, wir müssten in Nullkommanix auch schon da sein).
- Du siehst nicht die Arbeit, die dein Vorbild hatte, nur die Erfolge. Du weißt also nicht, welche Hürden zu meistern waren.
Im Innen wie im Außen
Wenn ich mich beispielsweise innerlich total verzettele, muss ich aufräumen. Da verlangt es im Außen nach Ordnung, so dass die Ordnung im Inneren folgen kann. Egal, ob es sich um das Aufräumen der Wohnung oder des Arbeitsplatzes handelt, das Bereinigen von zwischenmenschlichem Ballast, das Abschließen offener Belange, wie die angefangene und noch nicht beendete Steuererklärung, etc. pp. Ich denke, du weißt, worauf ich hinaus will.
Ist Chaos in Ordnung?
Als wären wir mit all den äußeren Widrigkeiten nicht schon genug beschäftigt, findet das wirkliche Chaos letztendlich ja doch immer wieder in uns selbst statt. Die „Stimmen in unserem Kopf“. Laut Friedemann Schulz von Thun sorgt das Innere Team dafür, dass wir mit uns selbst nicht einig sind und plappert uns pausenlos dazwischen. Ja, jetzt hört sie auch noch Stimmen 😉
Ich habe einen Zweifler in mir, der mich mit seinen Fisimatenten immer wieder ablenken will, wenn ich neugierig einen anderen Weg einschlage. Es ist spannend,, horch mal rein, welche Anteile in dir um Aufmerksamkeit buhlen. Der Meckerfred, den der Hamsterradalltag nervt, der Logiker, der auf Sicherheit pocht, der Sinnsucher, mit der Frage nach dem Warum oder der Sehnsüchtige, dem es an Verständnis fehlt. Natürlich gibt es auch die wunderbar positiven Stimmchen in uns, die sorgen allerdings selten für Chaos.
Mir hilft das Bild, die ganzen Konsorten an einem Tisch zu platzieren und zu wissen, dass der eine oder andere mal aufsteht und sich zu Wort meldet. Sollen sie doch. Sie sind da und lassen sich nicht den Mund verbieten. Sollen sie ihre Meinung kundtun, handeln müssen wir danach nicht. Wir sind der Chef und solange sie ihre Füße unter unseren (imaginären) Tisch stellen… Das ich das mal sagen würde…
Das Universum ist ein chaotisches System.
Die Chaostheorie besagt (und ich entschuldige mich schon im Voraus für diese laienhafte Darlegung), dass hundertprozentige Vorhersagen nicht möglich sind. So bleibt beispielsweise beim Wetter immer ein gewisser Prozentsatz unvorhersagbar. Schmetterlinge scheren sich nicht um Statistik. Es liegt in ihrer Natur mit ihren Flügeln zu schlagen, auch wenn sie damit am anderen Ende der Welt einen Orkan auslösen könnten.
In der Naturwissenschaft bedeutet Chaos nicht wie umgangssprachlich benutzt Unordnung, sondern etwas, dass wir noch nicht verstanden haben bzw. deuten konnten. Es beschreibt einen Zustand, den sich selbst überlassene Systeme anstreben. Und das nur, wenn die Bestandteile des Systems wechselwirken und gemeinsamen Regeln unterliegen. Daraus ergeben sich für mich zwei Erkenntnisse:
- Was sich wie Chaos anfühlt, ist schon ganz in Ordnung, wir wissen nur noch nix davon.
- Sich selbst überlassene Systeme, die miteinander wechselwirken sind wie eine Schulklasse Dreizehnjähriger, wenn der Lehrer mal kurz aus dem Klassenzimmer verschwindet. Jeder tut, was er kann, keiner macht, was er soll und alle machen mit.
Wir können uns also Mühe geben wie wir wollen, Leben ist nicht hundertprozentig planbar. Wir können lediglich Eckpfeiler setzen, um für eine gewisse Ordnung zu sorgen. Ab einem bestimmten Punkt hilft nur noch loslassen und sich dem Prozess hingeben. Ordnung bedingt Chaos und aus dem Chaos entsteht Ordnung.
Wir sind Helden
Ich bin mir ziemlich sicher, das Leben meint es gut mit uns. Es tritt uns manchmal in den Allerwertesten, um uns vom Sessel zu schubsen. Liegen wir mit der Nase im Dreck, haben wir wohl oder übel eine andere Perspektive. Wir müssen uns bewegen. Und wenn wir heimkommen, haben wir wenigstens etwas zu berichten.
Wir rollen unser Supermancape zusammen und verstauen es unter dem Bett, griffbereit für das nächste Abenteuer. Geschafft, mit aufgeschürften Knien zwar, doch unglaublich zufrieden schlafen wir ein. Wir haben den Drachen erlegt. Diesen Drachen in uns, der uns beschützen will und uns nur aus diesem Grund immer wieder davon abhält, unsere Heldenreise anzutreten.
Und schon Nietzsche erkannte:
Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.
Das Chaos können wir nicht verhindern. Hingabe zum Leben bedeutet wohl, alles, was uns passiert als Wachstumschance zu interpretieren und zulassen zu können. Wichtig ist, die Ordnung in uns selbst zu finden. Den Punkt, der uns einnordet und immer wieder zurückführt, wenn wir uns mal wieder im Chaos verloren haben. Die Verbindung zum Heimatplaneten in uns. Ist man erst einmal im Gravitationsfeld, ruckelt sich alles wieder an den dafür vorgesehenen Platz. Und Voila, Ordnung stellt sich ein.
Danke für diesen schönen Artikel.
Ein tolles Thema toll beschrieben.
Ja, Chaos ist in Ordnung! 🙂
Und ich habe richtig Lust, mal auszuprobieren, welche Ordnung sich einstellt, wenn ich das Aufräumen(wollen) weglasse. 😀
Bestimmt hat das Leben eine viel bessere Idee als ich…
Danke dir sehr für deine schöne Rückmeldung.
Ja, probier es mal aus, würde mich auch sehr interessieren, was sich dein Leben zum „loslassenden Aufräumen“ einfallen lässt 😉
Übrigens, kennst du das auch, dass du vor einer Aufgabe stehst und nicht wirklich was unternimmst (manchmal auch gar nicht weißt was) und dann plötzlich löst sich die Aufgabe/das Problem von selbst in Wohlgefallen auf und du denkst dir: ach schön, dass war ja einfach, bloß gut, dass ich nicht in blinden Aktionismus verfallen bin? Das könnte gern noch häufiger passieren. 🙂